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Französische / Schweizer Jura |
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Fahren auf
höchstem Lust- und Schwierigkeitsniveau
Richterskala der Straßengüte ist offen, nach oben und unten
Allmählich
lichtet sich der Nebel, gibt den Blick frei auf die teils felsigen,
teils bewaldeten Berghänge bei Goumois. Von der Terrasse des Hotels
Taillard schauen wir der Sonne zu, wie sie die Wolken verschlingt. Josef
drängt zum Aufbruch. Er will sehen, wovon ich ihm so vorgeschwärmt
hatte: traumhafte Landschaften mit ebensolchen Ausblicken, durchzogen
von beinahe endlos gewundenen Sträßchen, deren Qualitäten von
exzellent bis abenteuerlich reichen. Vor allem, wenn man den in Nord-Süd.
Richtung verlaufenden Jurakamm queren möchte und beachtliche Höhenunterschiede
überwinden muss.
Direkt an unserem Quartier vorbei schraubt sich die Straße hinauf auf
die Corniche de Goumois und folgt dann in luftiger Höhe dem linken Ufer
des Doubs, der hier die Grenze zur Schweiz markiert. Von seiner Quelle
bei Mouthe bis zur Mündung in Verdun-sur-Ie-Doubs legt der weitgehend
naturbelassene Fluss stolze 430 Kilometer zurück. Dabei liegen zwischen
den beiden Orten gerade mal 100 Kilometer Luftlinie. Kein Wunder, dass
die Straßen entlang des mäandernden Wasserarms kaum eine Gerade
kennen. Wir stoppen oberhalb von Goumois und genießen die Aussicht auf
die schroffen Täler, die der Doubs dramatisch aus dem Kalkfels gehobelt
hat. Die Ähnlichkeit mit dem oberen Donautal ist nicht zufällig, denn
hier wie dort fraßen sich die Flüsse in Jahrmillionen durch so
genanntes Weißjuragestein. Nur dass die jurassische Schwäbische Alb an
Wochenenden von Erholungssuchenden geradezu wimmelt, während im französischen
und Schweizer Jura Ruhe herrscht.
Auf
der winzigen D 437 A balancieren wir den Hang hinab. Erst durch dichten
Wald, dann dicht an Felswänden entlang. Naturnaher Straßenbau
sozusagen, auch was den Fahrbahnbelag angeht, der in der Mitte und am
Rand eher Waldboden denn Asphalt gleicht. Genau das Richtige zum Enduro
fahren. Unten bei La Goule eine kleine Brücke über den Doubs. Der
Grenzübergang zur Schweiz. Doch was ist das? Ein Fahrverbotsschild.
Grenzübertritt verboten! Das eng beschriebene Zusatzschild , zählt
alle erdenklichen Vehikel auf, die hier nicht passieren dürfen. Motorräder
sind glücklicherweise nicht dabei. Also rollen wir hinüber zu den
Eidgenossen. Unwesentlich breiter als auf französischer Seite fädelt
sich die Strecke durch den Wald wieder bergan. Gelegentlich dunkle
Felsentunnel, in denen die Straße unvermittelt rechtwinklig abbiegt.
Dann Serpentinen, die sich unter kleinen Wasserfällen winden, Fahren in
höchstem Lust- und Schwierigkeitsgrad. Auf knapp 1000 Metern Höhe
angekommen, stürzen wir uns gleich ins nächste Tal hinunter und
pfeilen auf der D 464 wieder rauf Richtung La Chaux de Fonds. Eine
Kurvenorgie der Extraklasse. Wir fahren wie im Rausch. Bis uns in Le
Lode der Hinweis auf ein kleines Uhrenmuseum zur Besinnung bringt. Wir
machen Pause und drehen eine Besichtigungsrunde. Die stilvoll im
parkumgebenen Chateau de Monts untergebrachte Sammlung zeigt einen
Querschnitt durch die Chronometerbaukunst der letzten 300 Jahre.
Weniger museal, aber nicht minder "zeitgeschichtlich" die nach
frischem Holz duftende Werkstatt von Meister Jean-Claude Alonet. Wir
haben erneut französischen Boden unter den Füßen und lassen uns
zeigen, wie noch heute die traditionellen Standuhren der Franche-Comte
hergestellt werden. Hier, im kleinen Dorf le Bizot nahe der ehemaligen
Uhrenmetropole Morteau, entstehen die mannshohen Gehäuse samt ihrem
mechanischen Innenleben. Aus einer Menge höchst kompliziert aussehender
Teile setzt Monsieur Alonet gerade ein Werk zusammen. In unseren Augen
ein nahezu unmögliches Unterfangen, doch als wir gehen, tickt es schon
zur Probe. Im warmen Licht der Abendsonne machen wir uns auf den Weg zum
Roche du Prêtre, wo uns die beeindruckende Aussicht in den Cirque de
Consolation erwartet. Wir stehen direkt am Abbruch der Felswand, und
unter uns breiten sich die Reculées aus, tief eingeschnittene Flusstäler,
die in steilen Felsenkesseln, den "cirques", enden. Als die
letzten Sonnenstrahlen hinter den Felsen verglimmen, suchen wir nach
einem Nachtquartier. Kein großes Problem. Denn wie fast überall in
Frankreich findet sich auch hier ein einfacher, ruhiger Landgasthof mit
schlichten Zimmern in Kombination mit einem ausgezeichneten Menü. Dazu
ein Fläschchen Wein aus Arbois, dem Zentrum des Weinbaus im Jura.
Perfekter kann der Tag nicht enden.
Der
nächste beginnt nicht ganz so optimal: Es regnet. Macht aber nichts,
heute sind ohnehin Höhlenbesuche angesagt. Die erste, die Grotte de
Glacier, erweist sich als Flop und ist schon ein wenig heruntergekommen,
während die Gouffre de Poudrey nahe Besancon alle Entdeckungsgelüste
stillt. Fast senkrecht führen endlos viele Stufen in die Tiefe, wo sie
in einer magisch beleuchteten, mehr als 200 Meter durchmessenden Grotte
münden. Zurück am Tageslicht, haben sich die Regenwolken verzogen, und
wir brausen hinab ins Tal des Flüsschens Laue, dessen Quelle aus einer
gewaltigen Felskathedrale sprudelt, in der das Rauschen des Wassers
widerhallt. Der zehnminütige Fußmarsch dorthin lohnt unbedingt. Die
Weiterfahrt gen Süden nicht minder. Denn dort lockt der Wald von La
Joue mit der Route des Sapins, der Tannenstraße, gesäumt von den
Sapins Présidente: riesige, unter Artenschutz stehende Tannen, sicher
vor jeder Kettensäge. Nicht weit davon ein Kleinod, das selbst auf der
äußerst genauen Michelin-Karte kaum zu erahnen ist: die Gorges de la
Langouette bei Les Planches. 47 Meter tief, aber nur vier Meter breit.
Eine der engsten Schluchten Frankreichs. Ein Stückchen klettern wir
hinein.
Allmählich weichen wir vom Südkurs ab und fahren auf der N 5 in
Richtung Osten. Wer bis dato glaubte, Nationalstraßen
seien grundsätzlich langweilig, wird hier eines Besseren belehrt. Die N
5 nach Genf gehört zum Feinsten, was einem fahrtechnisch so
unter die Räder kommen kann. Sie führt uns direkt zum Balkon
Frankreichs, wie die Gegend westlich des Genfer Sees genannt wird. Bei
Gex unterhalb des Col de la Faucille finden wir Unterkunft mit
Mont-Blanc-Blick. Letzteres zumindest theoretisch. Das Hotel steht
unmittelbar am Juraabbruch und den Alpen vis-à-vis gegenüber. Nur
entpuppt sich die Sache mit der Aussicht als graue Theorie. Den
Mont-Blanc-Blick können wir lediglich auf der Panorama-Tapete
bewundern, denn die Sichtweite draußen beträgt keine zwanzig Meter.
Okay, morgen ist auch noch ein Tag.
Der bringt zwar keinen Regen, aber das triste Wetter verzieht sich
nicht. Trotzdem wollen wir einen Blick ins Tal der Uhren rund um den Lac
de Joux werfen. Also raus aus den Federn, rauf auf die Bikes -uuuuah:
Ungeachtet des meteorologischen Sommers ist es hier oben bitterkalt. Die
bleischweren Wolken hängen fast bis auf die schlichten Blechdächer
herab, die für die alten Häuser im Hoch-Jura so typisch sind. Tapfer
trutzen sie den Elementen, denen sie im gut 1000 Meter hoch gelegenen
Vallee de Joux das ganze Jahr über ausgesetzt sind. Das raue Klima
treibt den Blechverschalungen braune, rostige Tränen aus und verschafft
der Region den Beinamen Schweizerisch Sibirien. Wer ahnungslos durch
dieses westlichste Schweizer Tal fährt, dürfte kaum auf die Idee
kommen, dass hinter den alten Häuserfassaden sündhaft teure,
mechanische Uhren von Weltrang zusammengebaut werden. In Handarbeit
versteht sich.Namen wie Blancpain oder Jaeger-LeCoultre - kunstvolle
Zeitmesser, die in der Quarz-Euphorie der achtziger Jahre beinahe
untergegangen wären, heute aber jede Rolex zum Massenartikel
degradieren. Uns wundert’s nicht, dass sich die Leute in dieser
unwirtlichen Gegend zu kontemplativen Tätigkeiten hinter dem
warmen Ofen zurückziehen. Auch wir haben genug von der Kälte und
seilen uns durch die Weinberge zum Genfer See ab. Mit steigender
Temperatur machen die Kurven wieder Spaß, und in Nyon am See ist
endlich wieder Sommer. Wenn auch ohne Sonnenschein. Aber der kommende
Morgen, versichert ein freundlicher Cafe-Besitzer.
Und
behält Recht. Frischen Mutes fahren wir bergan, um Maitre Marcel in
seiner kleinen Käserei einen Besuch abzustatten. Wir treffen ihn im
Reifekeller. Gleichmütig wischt er über die schweren Käselaibe. Mit
einem simplen, in Salzlauge getränkten Scheuerlappen - meinen wir.
Eines der wichtigsten Utensilien bei der Herstellung von Comte-Käse -
sagt dagegen der Maitre. Der Salzlappen stimuliere die Bakterien für
den Reifeprozess. Vorher wurde die Rohmilch in großen Kupferkesseln auf
32 Grad erhitzt, zur Gerinnung gebracht, nach nochmaliger Erhitzung das
restliche Wasser abgepresst und die Masse in eine Holzform gegeben. Während
der 120 Tage dauernden Reifezeit müssen die fast einen Zentner schweren
Käseräder zweimal pro Woche gewendet und immer wieder mit besagtem
Lappen abgerieben werden. Eine ganz schöne Schufterei, doch das
Ergebnis, einer der bekanntesten Käse Frankreichs, schmeckt
hervorragend - ein bisschen wie Appenzeller. Wir rollen weiter durch die
Weideflächen des Haute-Jura. Sie glitzern noch feucht in der
Mittagssonne, während die Straßen längst trocken sind. Los geht's,
Kurven wetzen rüber nach Pontarlier, vorbei am Lac de Saint Point und
hinauf auf die Burg von Joux, die seit dem 11. Jahrhundert über der
Enge von Pontarlier thront. Nach einer Stunde Führung wird uns klar,
was wir im Grunde schon immer wussten: Das Mittelalter war auch nicht
der Himmel auf Erden. Den finden wir allerdings im Tal des Dessoubre -
in Form einer traumhaften Motorradstrecke. Wir halten uns, nun wieder in
der Schweiz, Richtung Col de Chasseral oberhalb des Bieler Sees. Ein
lohnender Abstecher, wie wir auf dem Aussichtsplateau feststellen.
Auf halber Höhe fahren wir parallel zum Kamm an der Taubenlochschlucht
vorbei über den Grenchenberg nach Court, Weissenstein und Balmberg.
Dazwischen die genialsten Sträßchen, bisweilen so steil, dass auch bei
erfahrenen Bikern nie Langeweile aufkommt. Die Schilder sind eindeutig:
25 Prozent Gefälle, Anhänger und Fahrzeuge über 3,5 Tonnen verboten.
Die von den Eidgenossen verordnete Höchstgeschwindigkeit von 80
Stundenkilometern wird eher selten erreicht. Kleine Gasthäuser und
reizvolle Ausblicke locken allenthalben, und die Michelin-Karte
verzeichnet noch so viele Fleckchen, denen wir zu gerne einen Besuch
abstatten würden. Wie sagte doch die Chefin im Hotel bei Gex: "An
klaren Herbsttagen ist die Sicht am besten." Womit klar wäre,
welche Tour wir zum Saisonende angehen: Alpen gucken vom Aussichtsbalkon
Jura.
Kurz-Check
Region:
Reisezeit:
Übernachtung:
Information:
Anspruch: |
Frankreich / Schweiz / Süddeutschland
Durch das raue Klima kann es im Frühjahr auf den Höhen frisch
sein.
Einige Bergstraßen sind möglicherweise noch gesperrt.
Im Hochsommer genießt man die frische Luft auf den Höhenzügen.
Auf der französischen Seite ist die Auswahl an günstigen
Unterkünften
größer. Kombination aus einfachem Zimmer mit leckerem Menü
zwischen DM 110,-- und DM 220,--
Französisches Fremdenverkehrsamt
Maison de la France, Westendstr. 47, 60325 Frankfurt/Main
Tel. (069) 975801-22, Fax: (069) 745556
http://www.franceguide.com
und http://www.maison-de-la-france.fr
Schweiz Tourismus
Rossmarkt 23, 60311 Frankfurt/Main
Tel. (069) 256001-32, Fax (069) 256001-38
http://www.myswitzerland.com
Mittelschwere Tour für Biker mit
Gebirgserfahrung.
Man sollte seine Maschine in engen Kurven sicher beherrschen. | Motorrad-Verlag,
Heft 16, 20. Juli 2001
Text: Nicolas Streblow, Fotos: Josef Seitz
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